Neue Ausstellung ist eröffnet – Vom Kolonialbuch bis zur Flex
Das Döschen „Kola-Schokolade“, der medizinische Notfallkoffer und die Schellack-Stangen zum Ausbessern von Macken an Möbeln haben eines gemeinsam: Sie wurden in Stuttgart-Ost hergestellt. 44 Firmen nimmt die jetzt eröffnete Ausstellung im MUSE-O, „Made in S-Ost“, in den Blick, und von immerhin 41 davon fand sich auch ein passendes Ausstellungsobjekt.
Bei der Vernissage am Muttertag war einmal mehr trotz besten Wetters der Zulauf enorm. Die Besucher studierten die Texte, die den jeweiligen Exponaten zugeordnet sind. Diese liegen in den beiden Ausstellungsräumen auf Tischen aus, die sich im langgezogenen Bogen in den Raum erstrecken. Jedes einzelne Objekt ist mit einer Erklärung versehen, die weit über einen rein beschreibenden Text hinausgeht. Die neue Präsentationsform, die sich die Ausstellungsgestalter Inken Gaukel und Tobias Schwechheimer ausgedacht haben, lassen die Besucher ganz nah an das – gut gesicherte – historische Material heran. Alle Exponate werden gleichrangig behandelt und sind nach Firmennamen von A bis Z geordnet. Die Wände bleiben weitgehend weiß – bis auf einige „Bilderleisten“ mit Fotos aus den jeweiligen Firmen.
Zu den Kuriositäten unter den Ausstellungsstücken zählt das Buch „Jambo, watu!“ – ein „Kolonialbuch“, das für die Wiedererlangung der deutschen Kolonien warb und in den 1920er-Jahren erschien. Es blieb das einzige Werk des Verlags Christoph Steffen, der nach seinem Inhaber, wohnhaft in der Schlößlestraße, benannt war – und verkaufte sich für damalige Verhältnisse „unheimlich erfolgreich“, so MUSE-O-Kurator Ulrich Gohl. Eine Toblerone-Tasche in der typischen Form der „Gipfel-Schokolade“ hatte Gohl vor Jahren aus dem Sperrmüll gezogen und ans Stadtarchiv weitergegeben, von wo sie zum Stadtmuseum gelangte. Von diesem hat MUSE-O das gute Stück jetzt wieder ausgeliehen. Denn Toblerone wurde jahrzehntelang in Stuttgart-Ost hergestellt, nachdem die Firma Schoko-Buck (Ostendstraße) in der Schweizer Firma Tobler aufgegangen war.
Nur wenige Informationen fand das Recherche-Team zur Firma Roth, von der die ausgestellte Milchkanne stammt. Das Unternehmen stellte von 1930 bis 74 Molkereimaschinen und Zubehör im Osten her und Gohl setzt auf Hinweise aus der Bevölkerung: „Es muss ja noch Leute geben, die dort gearbeitet haben. Da hoffe ich dringend, dass wir was rauskriegen, wenn die Ausstellung jetzt läuft.“
Möbel und Stempel, Klaviere und Tabakwaren kamen aus dem Osten, ebenso wie der Trennschleifer „Flex“ und der „Mega-Seller“ der Textilfirma Kübler, die millionenfach verkaufte Unterhose „Hanna“.
So, wie sich der Osten ab 1930 industrialisierte, so setzte ab den 50er- und 60er-Jahren die „Deindustrialisierung“ ein. Ein Grund dafür waren verschärfte Auflagen und Emissionsvorschriften. Heute gebe es gerade noch zwei oder drei Unternehmen, die im Osten produzieren, sagte Gohl, darunter der Schmuckhersteller Langani oder die Firma Rotopack, die allerdings derzeit unter anderem Namen firmiert.
Auch Bürgermeister Matthias Hahn, der zur Eröffnung ein Grußwort sprach, ging auf die „Entmischung“ von Wohnen und Gewerbe nach dem Zweiten Weltkrieg ein. In vielen der ehemaligen Fabrikgebäude seien aber in den vergangenen Jahren neue Produktionsstätten entstanden, überwiegend der Kreativbranche zugehörig: „Das ist die große Chance des Stadtbezirks.“
Viele Ausstellungsstücke stammen aus Familienbesitz. So lebte diese Ausstellung von Anfang an ganz besonders von der Mitwirkung engagierter Vereinsmitglieder und von den Informationen und den Leihgaben aus dem Stadtbezirk. Die Besucher können zudem an einer Station in den Ausstellungsräumen selbst Industriegeschichte recherchieren. Mittels einer Datenbank, für die die Stuttgarter Adressbücher der Jahre 1910, 1930 und 1950 ausgewertet wurden, können sie beispielsweise die eigenen Straße eingeben und schauen, ob dort früher Betriebe ansässig waren.
In einem kleinen, gedruckten Stadtplan, der kostenlos ausliegt, sind die historischen Standorte der ausgestellten Firmen eingezeichnet: eine schöne Grundlage, um draußen auf Tour zu gehen und nach Spuren Ausschau zu halten – oder der Fantasie ihren Lauf lassen.
Abgeschlossen ist diese Ausstellung bei weitem nicht. Gohl und Co. wollen weiter Material sammeln, auch im Rahmen der Begleitveranstaltungen zur Ausstellung. Sie hoffen auf rege Resonanz und fassen einen zweiten Teil von „Made in S-Ost“ im kommenden Jahr ins Auge.
Text: aia