Lebenszeichen aus dem Lazarett

veröffentlicht am 19. April 2018

MUSE-O nimmt sich eines wenig bearbeiteten Themas an.
Wer die neue Ausstellung im MUSE-O betritt, findet sich Aug‘ in Aug‘ mit Soldaten des Ersten Weltkriegs wieder. Ihre lebensgroßen Fotos sind auf Stoffbahnen gedruckt und im Raum verteilt. Geradewegs scheinen sie die Besucher anzuschauen, nicht fröhlich, aber auch nicht niedergedrückt. Erst auf den zweiten Blick nehmen die Betrachter wahr, dass mancher ein geschientes Bein hat und dass in manchem Pyjama-Hosenbein nur noch ein Stumpf steckt. „Lassen Sie sich von den Bildern berühren“, riet Ausstellungsmacher Ulrich Gohl.

Ulrich Gohl führte in die Ausstellung ein.

Ulrich Gohl führte in die Ausstellung ein.

Die Fotos und Postkarten aus den Lazaretten, die in den ausliegenden Fotoalben mit Transkription der damaligen Schrift zu sehen sind, bieten den Besuchern einen emotionalen Zugang zur Ausstellung „Verwundungen – Die Stuttgarter Lazarette des Ersten Weltkriegs“. Der zweite Ausstellungsraum mit Text-Bild-Tafeln und einem Touchscreen, auf dem man durch Fotos blättern kann, steht dagegen für die informative Annäherung ans Thema – und zwischendrin finden sich wie immer Exponate aus der damaligen Zeit, von einem bestens erhaltenen Feld-Operationsbesteck bis hin zur Laterne für Sanitäter.

Zu den Ausstellungsstücken gehört ein Feld-Operationsbesteck.

Zu den Ausstellungsstücken gehört ein Feld-Operationsbesteck.

Wie kam MUSE-O zu diesem Thema? Ulrich Gohl nannte in seiner Einführung mehrere Gründe dafür: Vor genau 100 Jahren endete der Erste Weltkrieg, in dem das Stuttgarter Hauptlazarett im Osten lag, denn der heutige Kulturpark Berg an der Teckstraße war ursprünglich ein Militärkrankenhaus. Zudem hat Historiker Gohl über die Jahre hinweg immer wieder Lazarettpostkarten ersteigert und gesammelt – das sei relativ einfach gewesen, da das Interesse an diesem Thema sich offenbar in Grenzen halte, berichtete er. Was ein Grund mehr war, sich damit auseinanderzusetzen. Allzu viele Ausstellungen zum Thema Lazarette gab es bisher in Deutschland nicht.

Die Lazarette waren zwar Orte des Leidens, aber auch Orte der Heilung und der Sicherheit. „Dort gab es ein Dach über dem Kopf, es gab etwas zu essen und es wurde nicht geschossen“, so Gohl. Fotografen lichteten die Verwundeten oder auch Krankenschwestern und Ärzte ab; die Fotos wurden als Postkarten verschickt. Man würde erwarten, dass es darauf um die großen Lebensfragen gehe, „wenn jemand mit dem Tod ringt und Fürchterliches gesehen hat“, sagte Gohl. Tatsächlich seien die Texte aber überwiegend erstaunlich banal. Wofür es mehrere Erklärungen gibt: eine ist die Zensur, die bei der Soldatenpost stattfand, eine andere die Tatsache, dass die Abgebildeten ihre Familien beruhigen wollten – und sich ohnehin nur diejenigen fotografieren ließen, denen es schon besser ging. Denn die zentrale Botschaft war: „Ich lebe noch.“
Das Totenbuch der Stadt Stuttgart für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs liegt in einer der Vitrinen und umfasst 700 eng bedruckte Seiten mit rund 10 000 Namen. So viele Stuttgarter Soldaten starben in diesem Krieg – deutlich mehr als im Zweiten Weltkrieg. Es war zudem der erste mit so vielen Verwundeten, berichtete Gohl, denn dank des medizinischen Fortschritts konnten auch schwerer Verletzte und Verstümmelte überleben.

Schautafeln informieren über Stuttgarter Lazarette. Fotos: aia

Schautafeln informieren über Stuttgarter Lazarette. Fotos: aia

Auf den Text-Bild-Tafeln im MUSE-O geht es um die verschiedenen Formen von Feldpost ebenso wie von Lazaretten: Es gab beispielsweise auch Lazarettzüge. Modellhaft werden einige der 16 Stuttgarter Lazarette beschrieben und Fotos daraus abgebildet, neben dem Berger Garnisonslazarett war auch ein Teil des Alten Schlosses oder der Saalbau der Brauerei Dinkelacker für Kriegsverwundete eingerichtet. „Da sieht man erst, wo überall die Soldaten drin waren“, stellte Anna Maria Stallmach, die die Vernissage besuchte, beeindruckt fest. Die Stuttgarterin erinnert sich noch an den Donner der Geschütze im Zweiten Weltkrieg.
Passende Objekte zu dieser Ausstellung zu finden, war nicht einfach: „Wer hebt schon ein Paar Krücken auf, das nicht mehr gebraucht wird?“, so Gohl. Das sei nach dem Krieg eher verheizt worden. Trotzdem bekam er mit Unterstützung von privaten Leihgebern und von anderen Museen einige sehr interessante Objekte zusammen. aia

 

Verwundungen. Die Stuttgarter Lazarette des Ersten Weltkriegs. Eine MUSE-O-Ausstellung vom 8. April bis 9. September. Geöffnet Sa, So 14 bis 18 Uhr.
Eintritt: 2 Euro, Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre frei. MUSE-O, Gablenberger Hauptstraße 130, 70186 Stuttgart.
Aktuelle Informationen stets unter: www.muse-o.de.
MUSE-O wird institutionell gefördert vom Kulturamt der Stadt Stuttgart.

Kategorien: Ausstellungen | Kommentare deaktiviert für Lebenszeichen aus dem Lazarett